Istanbul!

On 16. Oktober 2011 by rkuebler

Die Vorbereitung

Finally! Endlich! Da! Ich hatte ja die letzten Wochen einfach alles vor mir her geschoben und völlig verdrängt, dass mein Türkei-Aufenthalt jeden Tag ein bisschen näher kommt. Erst Salty, dann Jannas Taufe, dazu noch ein paar mal beim Arzt, weil meine Mandeln rumzicken, alles wichtige Termine. Dazwischen noch ein völlig neues Projekt für das Journal of Business Ethics. Ihr seht, es gab genügend Gründe nicht zu realisieren, was bald unabwendbar passieren würde: Der kleine Raoul muss in die 3. größte Stadt der Welt. Nunja, ich hab mir immer wieder eingeredet, dass ich ja durch drei Jahre Kiel Gaarden quasi türkisch geprägt bin und mich auch nix mehr erschüttern kann. Aber ich muss auch eingestehen, dass während der letzten Woche mit jedem Morgen das Aufstehen doch bedrückender wurde. Istanbul… fast doppelt so groß wie NewYork City. Und wahrscheinlich viermal so chaotisch.

Immerhin, meine Sorgen wurden durch eine Top-Vorbereitung vor Ort etwas gelindert. Das Apartment stand schon vor Wochen fest, der Grundriss war schon Grund genug zum Angeben und man bot mir einen persönlichen Fahrer für den Start an. Die Reise stand also unter einem guten Stern. Da konnten mich Details, wie das nie erreichbare türkische Generalkonsulat in Hamburg nicht mehr viel schrecken…

Kurzum, ich hab Freitag abend noch Markus Geburtstag begossen, bin ins Bett und hab mich dann von Kathi am Samstag in aller Frühe nach Hamburg bringen lassen. Zum Glück ging es Kathi ähnlich wie mir, und wir haben uns für einen schnellen Abschied (nach einem tollen gemeinsamen Frühstück am Flughafen)  entschlossen. Ich glaube wir hätten beide sonst deutlich mehr Mühe damit gehabt.

 

Die Anreise

Zu erst HH-München. Für einen Wahlkieler sozusagen schon mal ein erster Kulturschock auf Probe. Viel Zeit hatte ich aber nicht. Die Clowns von der Lufthansa hatten gerade mal reguläre 45 Minuten Umsteigezeit einkalkuliert. Beim Check-In bekam ich deswegen sofort auch einen der nicht buchbaren Notsitze in erster Front, damit ich in München zügig aussteigen könne. Angenehme Beinfreiheit und sehr nette Lufthansa-Nebensitzer waren dazu der Bonus. Der wurde aber mit einer 30 minütigen Verspätung wieder schnell verspielt. Wer mich besser kennt, weiß, dass ich sowas wenig abkann und da auch meinem Doktorvater nachschlage. Während vor mir noch ein paar Münchentourisiten gemächlich ihr Gepäck sortieren und keine Anstalt machen, sich Richtung Rüssel zu bewegen, drängle ich hektisch nach vorne, hetze das Gate hinauf und male mir schon aus, wie mein Fahrer vergeblich in Istanbul auf mich wartet, weil ich in München liegen bleibe. Mit ungewohnten Sprinterqualitäten geht es quer durch den Münchner Flughafen. Passkontrolle! Au man, dafür hab ich noch weniger Zeit. Der Affe in Uniform nimmt sich dafür aber noch extra Zeit meinen neuen, chipbewährten Reisepass einzulesen. Mein Kommentar, dass es ja schneller ginge, wenn er einfach klassisch Bild und mich vergleiche, anstelle die ganze Zeit zu versuchen, den verborgenen Chip auszulesen, wird ignoriert.

Kurz um, verhastet schaffte ich es zum Gate reihe mich in die Boarding-Schlange und harre der Dinge. Prima! Wegen technischer Probleme Verzögerung in unbekannter Höhe. Erneut sehe ich meinen vermutlich ungeduldigen Fahrer von dannen rasen und ich mich in Folge alleine durch die große, böse Stadt irren…

Immerhin das technische Problem löst sich schnell. Man müsse nur noch tanken, in 5 Minuten könne man mit den Boarden beginnen. So komme ich wenigstens noch zu Nasentropfen, die hoffentlich meine Druckprobleme lösen…
Beim Boarden dann die Überraschung. Meiner alten Flugbesatzung aus HH muss es ähnlich hektisch gegangen sein, wie mir. Anders kann ich mir zumindest nicht erklären, wie sie in gleich schneller Zeit den Flieger und sich selbst hier her gebracht haben. Auf Rückfrage bei meinem alten Nebensitzer von der Lufthansa, der jetzt Stewart ist, bekomme ich heraus, dass nur ich mich bewegt habe. Und zwar auf einem großen Kreis. Flugzeug und Crew sind tatsächlich die gleichen. Immerhin gibts gutes, warmes Essen und wenig Verspätung bis wir in Istanbul landen.

Raus aus der Kiste, dieses mal mit mehr Gemütlichkeit. Dem großen Strom an Passagieren hinter her, der sich kontinuierlich an jedem Rüssel vergrößert und merklich internationalisiert. Bald schon sehe ich kein einziges bekanntes Gesicht mehr. Rechts an uns ziehen die ersten Zollschalter vorbei und ich folge immer noch stoisch den Schildern “Passport Control” und “Baggage Claim”. Irgendwann kommt die Visa-Stelle, hier bin ich aber falsch. Dann der Einreiseschalter für Iraker (wieso die einen eigenen haben, weiß ich nicht, anbody?) und dann der für Türken. Während ich noch rätsele, ob erst Gepäck oder erst Passkontrolle, hört die Halle auf. Einziger Ausweg also die Passkontrolle. Wieder habe ich das Gefühl, dass ich was falsch machen könnte und mit der absolvierten Passkontrolle jede Möglichkeit aufgebe an mein Gepäck zu kommen. Aber es scheint keinen anderen Ausweg zu geben. Und von hinten kommen auch schon wieder Münchner Gesicht auf, die meine Entscheidung sich in die Reihe für die Kontrolle anzustellen, entweder nachahmen oder gut heißen.

Naja Reihe ist untertrieben. In langen kurvenreichen Wegen, ähnlich dem Wartebereich einer Freizeitattraktion, schlängeln sich ca. 500 Wartende auf 10 Kontrollhäuschen zu. Zum völligen Glück fehlen nur noch die Schilder “Ab hier warten Sie noch XX Minuten”. Neben mir Asiaten, Briten und nicht näher bestimmbare Araberinen in Vollburka, aber mit Louis Vuitton und Gucci Handgepäck, flaniert von mindestens 5 Leibwächtern.  Die kommen kurz vor mir, nach ca. einer Stunde dran. Entschleiern kurz das Gesicht und zischen dann sofort in den Deauty Free Bereich ab. Ich such nach 10sekündigem Einreiseinterview sofort die Gepäckstelle auf. Vorteil der ganzen Warterei: mein Koffer ist da. Nur der andere nicht. Wieder kleiner Herzinfarkt und ein paar graue Haare mehr. Aber das Ding taucht nacht längerem Warten auf. Also raus jetzt. Fahrer hat auch schon angerufen. Auf Rückruf verständigen wir uns, dass wir uns an der Türe treffen wollen. Prima denke ich, aber woher weiß der, welche Türe ich nehme? Es folgen gefühlte 10 Anrufe. Er kann wenig Englisch, ich kein Türkisch, was die Sache nicht einfach macht. Wir treffen uns trotzdem.

Der Transfer

Ein sehr netter Kerl, hilfsbereit und freundlich. Drückt auch gleich aufs Gas und entschuldigt sich. Da es regne, gebe es sicherlich viele Staus. Auf Rückfrage bekomme ich aus ihm raus, dass meine Wohnung wohl unter sonnigeren Umständen in ca. 30 Minuten erreichbar sei. Heute sei aber wegen Regen und “Traffic” eher mit 2,5 Stunden zu rechnen. Nunja, ich staune dafür umso mehr über den Ausblick. Schon beim Anflug fing diese Stadt an. Und egal wie sehr ich mich bemühe, sie hört in keine Himmelsrichtung sichtbar auf. Der versprochene Stau übrigens auch nicht. Der Türke ist aber verkehrstechnisch sehr flexibel. Wenn eine Fahrbahnmarkierung anwesend, wird diese nur als unverbindliche Empfehlung betrachtet. Bei drei eingezeichneten Spuren, dehnt man diese gerne auf 5 auf. Obwohl dabei auch nicht unbedingt ein spur- oder reihenverhalten beobachtbar sein muss. Vielmehr wird kreuz und quer gefahren. Berührungen werden per Hupe verhindert. Wer genau wann wem nachzugeben hat, hat sich mir in der “kurzen” Zeit leider noch nicht erschlossen.
Vielmehr kam ich auf die Idee, dass der Istanbuler Verkehr ein prima Beispiel für den von Milton Friedman geforderten Liberalismus darstellt. Auch ohne staatliche Einmischung kommt es hier zu einer optimalen Verteilung. So wie mir schien sogar eine, deren Resultat besser war, als drei staatlich verordnete und verstopfte Spuren.
Dazu kurbelt der Stau sichtlich das Gewerbe an. Auf dem Weg hatten wir die Auswahl zwischen Waffeln, Wasser, Seifenblasenpistolen, Handyverträgen mit und ohne Handy und allerlei anderem Kram.
Irgendwann haben wir es über die Brück geschafft und mein Fahrer vergaß nicht mir zum erstmaligen Betreten des asiatischen Kontinents zu gratulieren. Ein erhabenes Gefühl stellte sich nicht ein, dafür war ich aber tief vom Blick über den Bospurus und auf das goldene Horn beeindruckt.
Mein Apartment ist auf dem städtischen Wohnheimkomplex der Uni. Die Übergabe ging schnell. Die Wohnung selbst ist überwältigend. Maisonette, 5 Zimmer, ca. 120qm, Aufzug, 3 Bäder, riesen Küche. Eigener Wachdienst. Alles toll. Nur leider ohne Küchenausstattung und Kleiderhaken. Ich werde morgen mal nachfragen. Internet gibts bisher noch nicht. Die mir im Vorweg genannten Netze und Passwörter sind leider nicht mehr existent oder nicht erreichbar. Ich hab mich dann doch noch mal runter getraut und hoffte vom Wachmann eventuell weitere Hilfe zu bekommen. Der konnte leider kein Englisch, brachte mich aber ins Männerwohnheim, wo zumindest ein englischsprachiger Master-Student war. Schnell wurde ich zur kleinen, ungewollten Attraktion, denn den Damen und Herren war schon aufgefallen, dass ein sehr junger Mann eine der wohl feudaleren Wohungen beziehen durfte. Nachdem ich klar  gemacht habe, dass ich kein neuer Professor bin und nur ein Visiting Scholar, wurde mir trotzdem sehr bemüht geholfen. Leider mit dem Ergebnis, dass Internet erstmal nicht verfügbar ist. Eins muss man den Türken hier lassen: Sie sind extrem hilfsbereit und stets bemüht! Das freut einen sehr. Und Internet bekomme ich ja auch per deutschem UMTS Stick. Dass Vodafone für 50MB Traffic 15 Euro will, ist weniger schön, aber Skype alleine im Chatmodus geht auch…

Die ersten Erkundungen

Erster Hunger stellt sich ein. Also in den fast gegenüberliegenden Mini-Supermarkt. Hier wird sogar englisch gesprochen und sich liebenswürdig um mich gekümmert. Erste Produkte, die man vom lokalen Kieler Döner kennt: Ülüdag, Cola Türk. Alles mal rein in die Tüte. Frische, super reife Feigen, Weintrauben, geniales türkisches Brot und natürlich Ayran. Einem guten Start in den Abend steht nichts im Wege. Kaum betrete ich die Wohnung der erste Schreck: Komische Geräusche. Habe ich den Fernseher angelassen? Mein Laptop? Ein Eindringling? Zum Glück stellt sich schnell heraus, dass der (bzw. kurz danach viele) Mueezine zum Gebet rufen. Ohrenbetäubend, asynchron und andauern. Ich verdaue den Schreck und buche es schnell auf das Konto Erfahrung und Flair. Pünktlich zur Dämmerung kommen die Jungs wieder, in der Nacht nochmal und am Morgen zum Sonnenaufgang auch. Abgesehen von letzterem, sorgt der Gesang für das passende Peter Scholl Latour Orient Feeling und stört nicht besonders. Kirchenglocken sind ähnlich laut, allerdings nicht so ausdauernd.
Sonntag früh beginnt also mit den ersten Sonnernstrahlen, der Tag wird am Laptop verbracht, da es regnet. Freut sich meine JoBE Studie drüber. Ich kann Koen Pauwels kurz per Skype erwischen und  mache einen Termin für morgen um 10 Uhr aus. Auf die Frage wie ich ihn finden würde, erklärt er mir kurz, dass mich wohl die Campus Security zu erst finden würde und dann automatisch zu ihm bringen würde. Ich bin gespannt. Für den unerwarteten Fall, dass ich schneller oder besser als die Jungs bin, wartet er aber auch im dritten Stock auf mich ;-)
Der Transfer zur Uni scheint einfach. Von dem Wohnheim hier gibt es einen stündlichen Shuttle zur Uni. Ansonsten gibt es diese Mini-Bus-Taxis. Die fahren hier überall rum. Angeblich auf festen Routen. Die Dinger halten hier immer vor dem Haus, hupen kurz und laut. Wer will steigt zu. Angeblich sagt man dann dem Fahrer einfach, wann man wieder raus will, zahlt eine Lira und hüpft von dannen. Wenn es geht probiere ich aber morgen erst mal den Uni-Shuttle aus.

Ich bin sehr gespannt, was mich morgen erwartet und hoffe, dass ich dann auch irgendwann mit Tellern und Internet bewaffnet hier voll durchstarten kann.

Ansonsten? Ihr kennt mich ja! Beste Stimmung, super Stadt und voller Vorfreude auf drei tolle Monate!

Bis morgen!

Euer Raoul

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